Österreichs Skilegende Franz Klammer ist nach wie vor in der Öffentlichkeit präsent – was nicht nur mit dem vor drei Jahren vorgestellten, erfolgreichen Film „Chasing the Line“ liegt. Der dreht sich vor allem auch um seinen spektakulären Olympiasieg 1976 am Patscherkoferl, der wesentlich dazu beigetragen hat, dass der Kärntner zum Nationalheld wurde. Am 7. Dezember 2023 beging Franz Klammer seinen 70. Geburtstag – und wie es sich für einen ehemaligen Spitzensportler gebührt – mit einem Legendenrennen und einem geselligen Abend in Bad Kleinkirchheim. Eine gute Gelegenheit, um seine unprätentiöse Art, Lockerheit und gut gelaunte Ausstrahlung, die ihm noch immer hohe Sympathiewerte bescheren, wieder einmal unter Beweis zu stellen. Der Ski Guide Austria hat mit Franz Klammer darüber gesprochen – was rund um seinem Olympiasieg genau vor sich ging, wie er mit Druck und Erwartungen der Öffentlichkeit umging und wie er das Rennen anlegte, so dass er gewinnen konnte. Und er schildert, wie sich Skilauf und Technik seit seiner aktiven Zeit verändert haben.

SKI GUIDE: Herr Klammer, im Film geht es um die Tage vor bzw. rund um Ihren Olympiasieg, in denen der Erwartungsdruck enorm war. Ganz Österreich hat von Ihnen den Sieg erwartet…
FRANZ KLAMMER: Ja, aber ich habe mir selbst den meisten Druck gemacht und mir den Sieg auch erwartet. 1975 habe ich alle Rennen gewonnen und 1976 vor Olympia in Wengen, Morzine und Wengen. Ich war zu dem Zeitpunkt der beste Abfahrer; wenn ich nicht gewonnen hätte, wäre das für mich eine herbe Enttäuschung gewesen. Ein zweiter Platz war nicht im Hinterkopf – entweder rausfliegen oder gewinnen.

Ihre Fahrt war ein echter Höllenritt. Es hat sie ja gewaltig heruntergebeutelt…
Mein Stil war generell etwas unruhig; ich habe mit den Händen gerudert. Dadurch konnte ich den Ski in der Linie halten; ich bin ziemlich gut gecarvt, obwohl wir damals noch keine Carving-Ski hatten. Ich war einer der ersten, der das gemacht hat und deshalb eine Zeitlang besser als die anderen. Deshalb habe ich auch im oberen Teil der Strecke so gerudert; im unteren Teil ging der Ski ohnehin. Unsere Abfahrtsski hatten damals einen Radius von 64 Metern; heute haben sie einen von 48 Metern – das waren damals unsere Riesenslalom-Ski. Heute fahren sie sozusagen mit Riesentorlaufskiern Abfahrt – und deshalb auch viel mehr Kurven.

Sie hätten auf Wunsch Ihres Skiherstellers bei der Olympiaabfahrt mit einem neuen Lochski fahren sollen.
Josef Fischer wollte mich aus Marketinggründen sogar dazu zwingen; ich habe mich aber geweigert. Ich habe gesagt, ich fahre mit dem Ski, mit dem ich alles gewonnen habe. Alles andere wäre ein schwerer Fehler meinerseits gewesen; ich musste ja alle Unsicherheitsfaktoren ausschalten. Wenn ich wusste, mein gewohnte Ski liegt oben am Start, habe ich mich schon so richtig wohl gefühlt.

Bei der Zwischenzeit waren Sie ja nur Dritter…
Ich habe das schon irgendwie gespürt. Ich habe natürlich extrem viel riskiert; war aber oben einige Kurven zu direkt und zu lang in der Hocke, weil ich das Limit suchen wollte. Wie ich beim Bärneck rausgesprungen bin, sagte Toni Sailer (damals Cheftrainer und technischer Direktor des ÖSV, Anm.) am Funk, als er meine Skispitzen verschwinden sah: Jetzt ist er weg – und meinte damit, ich sei hinausgeflogen. Worauf Charly Kahr (damals Trainer des Abfahrtsteams, Anm.) antwortete: Wovon redest Du? Bei mir fährt er noch (lacht).

Und dann?
Da hatte ich das Gefühl, etwas unternehmen zu müssen. Die Reaktion der Zuschauer war nicht so euphorisch, so wie ich es mir gedacht hatte. Da habe ich dann meine Linie geändert und bin beim Bärneck ganz rauf gefahren; eine Stelle, die ich nie besichtigt hatte, weil ich nie richtig glücklich mit dieser Kurve war. Einmal bin ich innen gefahren, dann in der Mitte, aber ganz ausgeholt habe ich vorher nie. Doch das war so ziemlich die beste Entscheidung, weil ich dort das Rennen gewonnen habe und dort die Geschwindigkeit mitgenommen habe. Dann habe ich den Johannesweg gerade noch mit letzten Risiko geschafft; ein schwieriger Streckenabschnitt, bei dem nach der Landung keine Zeit hatte sich darauf vorzubereiten.

Wenn Sie zurück blicken: Wie unterscheiden sich Skizirkus und Technik im Vergleich zu früher?
Das ist schwer zu vergleichen. Das Rennfahren hat sich generell verändert – mit dem Material, mit der Pistenpräparierung. Wirklich zu verändern begonnen hat es sich mit dem Kunstschnee. Damals wurden die Verhältnisse viel gleichmäßiger im Gegensatz zu unseren. Der Abfahrtslauf von Karl Schranz 1962 in Chamonix zum Beispiel war unglaublich; da sind wir im Vergleich schon auf auf ebenen Pisten gefahren. Und heute ist es noch einmal gravierend anders. Damals gab es keine Sicherheitsvorkehrung, nichts. Natürlich war die Geschwindigkeit damals geringer; aber wenn man mit 80 km/h an einem Baum vorbei fährt ist es gefährlicher, als wenn heute jemand mit 130 km/h ins Netz fliegt. Heute gibt es keine Passagen mehr, bei denen du Zeit holen kannst. Früher gab es noch die Kompression in Val-d´iserè oder die Hausbergkante in Kitzbühel. Wenn du die richtig erwischt hast, konntest du eine halbe bis eine Sekunde holen. Heute sind die Pisten breiter, einfacher und ausgeglichener. Jetzt ist es schwieriger und es geht für die Läufer permanent um hundertstel und zehntel Sekunden. Das ist eine Arbeit von oben bis unten.

Österreich hat den Skisport jahrzehntelang dominiert – mittlerweile haben die anderen Nationen stark aufgeholt. Was sind die Gründe dafür?
Auch das Training hat sich geändert. Statt Kleingruppen und Einzeltrainings waren wir eine große Gruppe. Das waren inklusive C- und B-Kader 25 Leute. Ich finde, das war nicht so schlecht, weil da haben die Jungen mit den Arrivierten mittrainiert und sich etwas abschauen können. Der Teamgeist war dadurch wahrscheinlich größer, obwohl ich nicht sagen kann, wie der heute genau ist. Wahrscheinlich ist er nicht so homogen. Skisport ist aber ein Teamsport – man sieht ja, wie sich momentan die Norweger und die Schweizer gegenseitig pushen. Ich denke, es gibt so Wellen nach oben und nach unten. Wir haben schon sehr gute Leute – man muss weiterarbeiten und einfach dabei bleiben. Was mir schon auffällt, ist, dass der Umstieg von den unteren Klassen in den Weltcup nicht so funktioniert, wie es sollte. Die brauchen zu lange. In der Abfahrt sind die sogenannten Jungen, 27 oder 28 Jahre alt. Ich habe mit 21 alle Rennen gewonnen. Was da zu machen ist, bin ich aber auch überfragt, weil ich nicht drinnen bin.

Gibt es heute mehr Verletzungen?
Es sind andere Verletzungen. Heute sieht man jeden Sturz. Früher hat man ja, speziell in der Abfahrt, nur ein Drittel der Strecke gesehen. Was oben passiert ist, hat man nicht mitbekommen. Damals gab es Knöchelbrüche und ähnliches. Meines Erachtens sind heute die harten Schuhe die Crux. Es gibt einen Hebel, der Kunstschnee ist aggressiv, der Ski gibt nicht nach mit seiner Taillierung und dann hat man noch einen Betonklotz an den Füssen, der ebenfalls nicht nachgibt. Der hat 170, 180 Flex. Anscheinend muss man heute so einen haben, damit man einen Grip hat und den Druck aufbauen kann. Und das Knie ist da leider nicht mitgewachsen. Deshalb kommen die Verletzungen auch ohne Sturz zustande. Die Kurvengeschwindigkeit heute ist schon enorm; der Athlet ist gegenüber früher auch ein anderer geworden. Ich hatte Kraft und Ausdauer, war eigentlich nie müde – Wengen z.B. mit 2.30 war okay, ich hätte noch weiter fahren können. Und heute mit den Oberschenkel, die du brauchst, damit du den Ski zum arbeiten bringst und er die Biegung bekommt und die Taillierung wirkt, brauchst du enorme Kraft für den Widerstand. Bei uns konntest du die Kraft nicht anwenden, weil da kein Widerstand war und der Schnee nachgegeben hat. Dann bist halt mal auf eine Eisplatte gekommen und musstest mit runden Kanten drüber. Und jetzt sind die Kanten so scharf, dass du dich damit rasieren kannst. Also das Skifahren hat sich extrem geändert – aber grundsätzlich fährt man das Limit, das gerade möglich ist – was Material und Pisten hergeben.

Vom Olympiasieg zehren Sie noch immer…
So ist es. Ich kam zwar als Favorit zum Rennen und wusste was der Olympiasieg heißt; aber dessen langfristigen Folgen konnte ich nicht voraussehen. Die freuen mich natürlich nach wie vor.