Snow-how: Vom schuldigen Weiß und dem Glück im Glück

von Redaktion ‎ 20/04/2020
Winter in Österreich
Snow-how: Vom schuldigen Weiß und dem Glück im Glück

WAS WÄRE WENN Schnee rot wäre? Kann der weiße Rausch zur Sucht geraten? Gibt es das archetypische  Lawinenopfer? Und worin liegt die Faszination des Wassers, wenn es kältebedingt flockig vom Himmel fällt? Mit Psychologen und einem Suchtforscher riskieren wir einen vorsichtigen Blick unter die Schneedecke. „Schnee ist weiß, rein, eine Projektionsfläche. Auch für unsere Träume, Ideen“, sagt Jan Mersch. Recht hat er, der psychologisch diplomierte Wander- und Tourenguide aus Deutschland. Eben schichten sich dicke Flocken vor die Türe, schon entziehen sich hoffnungsfroh die ersten der häuslichen Wärme, verlagern das unverhofft vom Himmel kommende, 
zu einem Häufchen am Gehsteigrand. 

SZENENWECHSEL von der urbanen zur alpinen Wahrnehmung. Wird „Powderalarm“ ausgerufen, lässt das Hirn dem Herz den Vortritt. Die Werbung leistet dabei einen nicht unwesentlichen Beitrag, wie Fachleute gerne beklagen. „Die Lawine weiß nicht, dass du Experte bist“ lautet eine gängige Warnung. Denn die meisten Opfer sind nicht unbedingt bei besonders gefährlichen Schneelagen zu beklagen, sondern wenn nach Schlechtwettertagen die Sonne zu Leichtsinn verführt. Ein weiterer Beleg: Powdern ist pure Emotion. Oder der Tiefschneerausch gar Sucht? „Rausch ist gesuchter Exzess, möglichst ekstatisch. Und das ist beim Skifahren, entsprechendes Können vorausgesetzt, durchaus zu erreichen. Nicht nur im Tiefschnee“, analysiert Österreich prominentester Gerichtspsychiater und Suchtforscher Reinhard Haller das Phänomen. Für den Deutschen Alpenverein betreibt Mersch oft die nachfolgende Analyse. Was treibt Menschen dazu, für in der Natur erhoffte Glücksgefühle ihr Leben aufs Spiel zu setzen? „Lawinen sind ein schwieriges Feld, weil wir sonst gewohnt sind aus Fehlern zu lernen. Doch in einer Lawinensituation wissen wir nie, ob wir die richtige Entscheidung getroffen haben – oder nur Glück hatten.“ Das wahre Glücksgefühl basiert also oft auf Glück. Und häufig lässt der Schnee in seinem massivsten Auftreten einfach keine Chance, aus seinem Fehler zu lernen. Wäre der Schnee aggressiv rot, wäre die Risikobereitschaft geringer, ist Mersch überzeugt. Süchtig nach Schnee könne man nur sprichwörtlich oder in dessen unfreiwilligem Wirken als Synonym für Kokain werden, meint Haller. „Rausch ist starker Genuss, Erweiterung des Bewusstseins, kurzzeitiges verrückt sein, hat manchmal etwas Religiöses. Sucht ist zwanghaft und kein Genuss mehr.“ Es gebe keinen ungefährlichen Rausch. Aber das Bewegen in der Natur zähle zu den letzten Bastionen uneingeschränkter Eigenverantwortung und Freiheit, bejaht Haller den weißen Rausch. Auch die Freiheit des Leichtsinns. In einer Studie wurden 124 Bergunglücksfälle mit 140 Toten untersucht. 80 Prozent davon haben, nimmt man die Lawinenwarnungen als Basis, ein hohes Risiko genommen. 

Selbst Profis rutschen gerne in ausweichendes Denken, neigen zu Ausblendung und Verzerrung. Die Kunst sei, Erfahrungen wie „Der Hang hat gehalten“ auch mal als Glück abzuspeichern, sofern das Gefühl einem das sagt. Die Distanz zum eigenen Tun ist die beste Lebensversicherung. Zusätzlich gibt Mersch noch das weite Feld gruppendynamischer Aspekte zu bedenken. In eine ähnliche Kerbe schlug Dr. Manfred Ruoß, Psychologischer Psychotherpeut aus Kaufbeuren, an. Es gebe Unmengen von Infos zur Beurteilung der Lawinengefahr. Mit sich ändernden Bewertungen. Wurden Schneemäuler früher positiv beurteilt, gelten sie nun als Gefahrenzeichen. Natürlich holen viele Menschen trotz allem zu wenig Informationen ein oder können sie nicht auswerten: „Aber vielleicht lassen sich trotz allem auch wirklich keine Entscheidungen treffen. Vieles bleibt Zufall“, weiß Ruoß. Andererseits gebe es Fälle wie das so genannte Inferno am Dreikönigstag, bei dem Experten eine Fülle von Fehlentscheidungen trafen: „Eine  Community auf Dope, die alles ausgelassen hat, was zu berücksichtigen wäre.“ Es sei ein Grundbedürfnis des Menschen sich besser fühlen zu wollen. Erfolge erhöhen das Selbstwertgefühl. Entscheidungen werden eben nicht rational getroffen, sondern in spielerischer Lust. Lockt der Powder, lockt Flow... 

In diesem Zustand paaren sich volle Konzentration mit einer Bewusstseinsveränderung, die Belohnung liegt in der Tätigkeit selbst. Die spielerische Suche nach Gefahr, wo der Zufall das Glück töten kann. Der Mensch unterliege vielen kognitiven Täuschungen, Denken und Handeln richten sich nicht nach Logik und Experten neigen zur Selbstüberschätzung. Zu schnell werde geurteilt, das „langsame Denken“ werde ignoriert. Lockt der Tiefschnee, wird impulsiv und intuitiv entschieden. In der Praxis habe Ruoß ständig Belege für diese Theorie. „Schon bei Anwendung der Snow Card hätten sich ca. 90 Prozent der Lawinentoten in den letzten Wintern vermeiden lassen“, ist er überzeugt. Doch der Mensch habe eine große Verlustaversion: „Wenn wir uns gegen eine Tour entscheiden und andere machen die Tour ohne Probleme, dann schmerzt das.“ 

Die SNOW AND SAFETY CONFERENCE in Zürs am Arlberg war Schauplatz aller hier aufgezeichneten Gespräche. Weltweit für seine variantenreichen Tiefschneetouren gerühmt, stellt sich Lech Zürs der damit verbundenen Verantwortung und veranstaltet die „Snow & Safety Conference“. Dabei vermitteln Experten in Sachen „Sicherheit im Schnee“, darunter prominente Freeride-Profis, ihr Wissen nicht nur theoretisch. Es geht mit Stars wie Stefan Häusl ins Gelände. Obwohl zu diesem frühen Zeitpunkt die Schneelage nicht immer mitspielt, ein unvergleichliches Erlebnis. Spektakulär war naturgemäß die Veranstaltung im Vorjahr, bei der es schon im Dezember mal so richtig was zu powdern gab. Einige Impressionen des Tiefschnee-Arlbergs illustrieren diese Seiten. Im Veranstaltungssaal sind am 13. und 14. Dezember 2019 – umrahmt von aktuellen Freeride-Produkten – die neuesten Forschungsergebnisse zu erfahren gewesen. Wobei den meisten Teilnehmern zugegebenermaßen an diesen zwei Tagen das aktive Erleben am wichtigsten ist: Freeride-Touring und Snow + Safety-Training mit den Stars der Szene. 

DIESER AKTIVE PART findet erstmals mit drei prominent besetzten Camps (vom 7.-9.02. sowie vom 6.-8.3. mit Björn Heregger und vom 3.-5.4.2020 mit Stefan Häusl) seine Fortsetzung. Über Anmeldungen freut sich Lech-Zürs-Tourismus.