Renn-Feeling für Amateure

von Redaktion ‎ 29/03/2021
Winter in Österreich
Renn-Feeling für Amateure

„WIE DIE KLEINEN KINDER!“ Dieser Aussage einer liebenden Gattin, die den Vater ihrer Kinder ohne Rücksicht auf allfällige Selbstbeschädigung das Madloch hinunterrasen sah, sagt alles über die Jedermannrennen aus. Es sind nicht nur, aber doch überwiegend, Männer, meist dem aktiven Rennfahreralter deutlich entwachsen, die sich zu Klassikern wie Der Weiße Ring – Das Rennen in Lech-Zürs, Der Weiße Rausch auf der anderen Seite des Arlbergs in St. Anton oder vergleichbaren Amateurrennen einfinden. Anlässe, bei denen jede und jeder ungestraft die Pistensau rauslassen darf. Zumindest all jene, welche die oft sehr kurzen Zeiten zu nützen verstehen, in denen die Anmeldung möglich ist. Denn häufig sind alle Startplätze nach wenigen Stunden vergeben.

ST. ANTON AM ARLBERG scheitert aufgrund der Pandemie bereits zum dritten Mal am Versuch, die verrückte „Rennsaison“ mit dem erstmals ausgetragenen „Catch me if you can!“ zu beginnen. Die beiden Male davor bescherte akuter Schneemangel der vorgesehenen Uraufführung eine Absage. Angesichts des Termins Ende November ist eine 
geringe Schneedecke nicht einmal für den Arlberg eine große Überraschung. Dabei ist die Idee des Rennens  herausragend: 222 Starter werden mit Stirnlampen (!) zu einem Riesenslalom vom Galzig ins Tal losgelassen. Immer paarweise (nach italienischem Vorbild): Die ersten Tore werden parallel gesteckt, dann folgen rund 150 Tore  Riesenslalom, ehe es zum Schluss wieder parallel endet. Überholt darf immer werden. Doch leider gilt es sich abermals in Geduld zu üben, bis hoffentlich "Catch me if you can" endlich seine Premiere erfährt. 

ABSAGEN sind bei diesen Amateurrennevents nie auszuschließen. Denn Sicherheit geht vor. In der Regel ist es natürlich keine Pandemie, sondern das Wetter, das einen Strich durch die Rechnung macht. Denn Sicherheit geht vor. Diesen Winter ist vieles anders, wobei überrascht, dass - anders als bei den kulturellen Open-Airs - doch der größere 
Teil der Events terminisiert wurde. Wer sich denkt: Natürlich stehen die im Kalender, abgeseagt können sie immer noch werden, hat sich nicht besonders mit diesen Massenrennen auseinandergesetzt. Denn der organisatorische und damit finanzielle Aufwand für diese Großveranstaltungen ist enorm. So organisiert Armin Assinger, Ex-Abfahrtsstar und Millionenshow-Moderator, kann ein Lied davon singen. Unsere Besichtung am Vortag des Rennen (2019) ging noch bei
halbwegs brauchbaren Verhältnissen über die Bühne. Aber am Renntag konnte das Weltcupgefühl in einer Form erlebt werden, die man nicht unbedingt brauchen kann. Warten auf den Startschuss. Verschiebung. Dann der Beschluss den ersten Teil des Rennens neutralisiert zu bestreiten. Im Endeffekt wurde das ganze Rennen neutralisiert bestritten. Der Nebel erwies sich einfach als Spielverderber. Aber es hat trotzdem Spaß gemacht, die Piste mal zur Raserei nutzen zu können. Nur als der Nebel so dicht wurde, dass eine Abzweigung nicht mehr zu erkennen war, wurde es weniger lustig. Doch es hat in früheren Jahren für beide Ski Guide-Autoren am Nassfeld funktioniert. Schlag das Ass zeichnet sich durch seine Kärntner Lockerheit und Gaudi bei der Winnerparty im Zielstadion aus. Armin Assinger gewann die erste Auflage des mit rund 26 Kilometer und 6.400 Höhenmetern laut Eigenangabe „längste Skirennen der Welt“ 2010 in knapp über 50 Minuten. Zuletzt waren sein Bruder, ÖSV-Trainer Roland, aber auch zahlreiche jüngere Konkurrenten schneller.

Die Atmosphäre vor dem Rennen, bei dem die Starter in 20-Personen-Gruppen mit einem Zeitabstand von zwei Minuten losgelassen werden, ist jedenfalls prickelnd: Beim Start am Gartnerkofel muss zuerst einmal ein Aufwärtssprint absolviert werden, bevor es losgeht. Und auch Zwischendurch geht es nochmals aufwärts, damit es für die Teilnehmer 
und die gar nicht so wenigen Teilnehmerinnen nicht zu einfach wird. Kondition ist freilich auch auf den teils pickelharten Pisten gefordert. Zum Glück gibt es Ruhepausen während der Liftfahrten. Die Streckenabschnitte variieren, manche sind ziemlich anspruchsvoll, andere vergleichsweise locker in einem Zug zu bewältigenden. Was den Hauptunterschied zu Lech ausmacht, ist die 7,6 Kilometer lange Carnia-Talabfahrt nach Tröpolach. Grundsätzlich gilt es, solange wie möglich in der Hocke zu bleiben, und zu schauen, dass einem „übermotivierte“ Teilnehmer nicht zu nahe kommen. Für den laufenden Winter wurde die Veranstaltung leider nicht terminisiert. 

BEIM TEAMBEWERB RISE & FALL stehen in Mayrhofen weniger Ausdauer und Überwindung, denn Prominenz und Fun im Zentrum. Es ist eines der wenigen Dezemberevents auf diesem Gebiet und verbindet Ski Touring, Paragliding, Mountain Bike und Alpinski oder Snowboard. Da braucht es manchmal schon des intensiven Einsatzes von Schneekanonen, damit der Event in voller Pracht über die Bühne gehen kann. Mit knapp über 40 Minuten Gesamtzeit handelt es sich bei Rise & Fall fast um einen Sprintbewerb unter diesen immer beliebter werdenden Veranstaltungen. Mit Hubschrauber-Livebildern, Stars und reißerischem Auftritt arbeitet man erfolgreich daran, eine außergewöhnliche Stellung zu erreichen.

SO WEICH IST ECHT HART. Aber wir haben's überstanden. Denn der Weiße Rausch ist das Aushängeschild unter den Rennen, die unter der Devise „Wer schaffts am schnellsten vom Gipfel ins Tal“ traditionell zu Saisonschluss ausgetragen werden. Im Abstand mehrer Jahre dürfen sich beide Ski Guide-Autoren als Weiße-Rausch-Finisher titulieren. Das Kapperl bezeugt’s! Dabei kann eines verraten werden: Der 2019er Event hatte es wie schon im Jahr davor ordentlich in sich, dafür sorgten Tagestemperaturen jenseits der 20 Grad. Im Schatten. War aber den ganzen Tag keiner zu sehen. Der Start meiner Gruppe (der dritten und letzten am letzten Skitag der Saison) war 17.30 Uhr, der Wasserstand war stellenweise so 60 Zentimeter. Zwischen den meterhohen Buckeln der Kandahar rannen sanfte 
Bächlein dahin. Soviel zur Strecke. Doch der Weiße Rausch hat zwei emotionale Höhepunkte: Das eine ist der Start unterhalb der Valluga in endlos aufgefädelter Reihe. Bis zu 200 Starter, die nach einem Böllerschuss schnurgerade loslegen. Bis halt die ersten den Sicherheitsschwung einlegen und andere ihre Ausrüstung unfreiwillig über den 
Hang verstreuen. Den dahinter kommenden bleiben dann ohnehin nur mehr die Schwünge, die den anschließenden Schmerzensberg – einen Anstieg von bis zu 30 Höhenmetern – noch länger als beim vorhergehenden Test machen.  Die Zielankunft ist übrigens der zweite emotionale Höhepunkt, bei dem sich das zahlreiche Publikum an den komplett 
fertigen Läuferinnen und Läufern ergötzen, die zum Schluss noch einige Hürden mit den Skiern in der Hand zu bewältigen haben. Was sich dazwischen abspielt? Los geht es auf 2.650 Metern Seehöhe am Vallugagrat, in Gesellschaft nicht minder nervöser Skisportlern, denn die Spannung bis zum Böllerschuss ist spürbar. Neun Kilometer, 1.300 Höhenmeter sind die Eckdaten. Wobei gleich nach der ersten Schußabfahrt ein mehrere hundert Meter langer Aufstieg zu bewältigen ist. Zusammenstöße und Stürze sind trotz Vorsicht nie gänzlich zu verhindern. Dann geht es im Schuss an der Ulmerhütte vorbei durchs Steißbachtal. Normalerweise. 2019 sorgte abermals Lawinengefahr dafür,  dass die Streckenführung die steile Buckelpiste der Kandaharabfahrt inkludierte. Das relativiert auch diverse  Bestzeiten. Die Bestzeit steht bei 7 Minuten 40 Sekunden für die 9 Kilometer. Doch die Zeiten sind relativ. An kühlen Tagen sind die Pisten oft noch in einem relativ guten Zustand und die geänderte Streckenführung kostete ebenfalls über eine Minute. 

DIE STRECKE hat eben nicht nur ihre Tücken, sondern zum Schluss künstliche Hindernisse. Vor einigen Jahren erreichte der antretende Ski Guide Austria-Autor nach rund 14 Minuten im Mittelfeld das Ziel – erschöpft, aber hochzufrieden, den Höllenritt unbeschadet und in einer akzeptablen Zeit bewältigt zu haben. Die vergangenen beiden Jahre opferte sich der Ski Guide fünf beziehungsweise vier Minuten länger für seine Leser auf. Letztlich spielt die Zeit für die meisten Teilnehmer nur eine Nebenrolle. Ankommen und Spaß haben, ist die Devise. Denn im Ziel mutiert das Rennen zur Party. Die Sieger – und alle anderen Helden des Tages – werden auf großer Bühne mit Rahmenprogramm 
gefeiert. Auch für die Zuseher, die sich meist in großer Zahl auf den Zielbereich konzentrieren, ist der „Weiße Rausch“ somit ein unterhaltsames Finale der Skisaison. Hoffen wir, dass im Mai 2021 nicht noch immer Corona - das schon im Mai 2020 das Rennen verhinderte - den Spielverderber gibt. 

IN LECH ERFOLGT DER START zu „Der Weiße Ring – das Rennen“ im Hochwinter am Rüfikopf. Der Lautsprecher scheppert, Publikum applaudiert, die Startuhr gibt den vom Weltcup gewohnten Sekundentakt vor. Skifahrer und Snowboarder, Männer und Frauen, fast allen ist jene von Lockerheit übertünchte Nervosität gemein, die sie schon bei den Treffs am Abend zuvor prägte. Nein, wer erst einmal für ein derartiges Skirennen einen Startplatz ergattert hat, entkommt ihm nicht: Dem Ehrgeiz, schnell zu sein. Für den Ski Guide Austria-Verfasser war's der vierte Start zum Weißen Ring. Und die Ziele aus den Erfahrungen der Vorjahre klar umrissen: Sturzfrei und in der vorderen Hälfte das Ziel erreichen. Was treibt aber gar nicht so ehemalige Sportstars dazu, sich mit Fullspeed in die sichere Niederlage zu begeben? „Einmal wieder voll das Adrenalin spüren“, verrät der deutsche Ex-Teamtorhüter Jens Lehmann. Abgelassen wird alle 100 Sekunden ein 20er-Paket. Beim Start türmt sich ein Hügel auf, der sich mit dem letzten Piepton zum Berg mausert. Der Anstieg dient dazu, das Getümmel in der Abfahrt zu reduzieren. Das Sauerstoffdefizit lässt sich auch auf den flachen ersten hundert Abfahrtsmetern nicht vertreiben. Der Atem bleibt hechelnd, bis mittleres Gefälle mit drei Super-G-Toren beschleunigend wirkt. Der Spaß an der Freud’ gewinnt die Oberhand. Eine der wichtigsten Lehren aus den vorhergehenden Besichtigungen: „Tiefe Hocke bringt ein paar Sekunden, kostet aber zum Schluss Minuten“. Die Auffahrten sorgen für Erholungspausen. In diesen Momenten hängt einen nicht mal Hausherr und Olympiasieger 
Patrick Ortlieb ab. Außerdem wird die Strecke fast alljährlich ein weinig länger, um das Tempo im Griff zu haben. Beim Ansteuern der Brücke über die Bundesstraße in Zürs ist wieder volle Konzentration gefragt. Der Weg ist schmal, 2011 überstand eine Rennläuferin die Bekanntschaft mit dem Felsen nur mit lebensgefährlichen Verletzungen. Da geht man’s lieber ruhiger an, schnauft am Seekopf-Sessellift durch.Oben wartet das berühmte Madloch, der technisch anspruchsvollste Abschnitt der Runde. 

Die Bretteln heben ab und dann Hocke, Hocke bis der steilste Abschnitt folgt. Auf der Balmalp steht später der Hüttenwirt mit Schnapserln zur Stärkung bereit. „Danke, mir ist schon schlecht“. Danach kommt vielleicht der schönste Part der Strecke: Schnelle Schwünge, kurze Schrägfahrten, schließlich hinunter nach Oberlech. Hier wird die absolute 
Höchstgeschwindigkeit erreicht. „Wir haben hier Spitzen von über 130 Stundenkilometern gemessen“, berichtet ein Mitglied des Siegerteams im Ziel. Doch es gibt noch mehr Varianten, um sich auf oder auch abseits der Pisten mit anderen zu messen. Dafür entsteht Neues, vor allem am Ausdauersektor. Die Mountain-Attack (6 Gipfel, 3.008 Höhenmeter, 40 km Streckenlänge) ist nur ein Extrembeispiel aus Saalbach-Hinterglemm, wobei anders als bei reinen 
Abfahrtsrennen eine intensive konditionelle Vorbereitung die Grundvoraussetzung ist.

NOCH MEHR AUSDAUER ist bei den zahlreichen Volkslangläufen, deren berühmtester der Tiroler Koasalauf ist, gefragt. In Hochfilzen wiederum kann man sich am Volksbiathlon versuchen. Andererseits gibt es für romantisch-verspielte Menschen die Chance, sich unter anderem in Zell am See im „NostalSkilauf“ zu üben. Dabei kann man in 
romantisierender Gesellschaft im nostalgischen Outfit einstigen Idolen nacheifern. 

BEI NOSTALGIERENNEN wie sie in Zell am See, Wagrain oder am Feuerkogel ausgetragen werden, steht eher die Nostalgie, als das Rennen im Vordergrund. Wobei auch hier Ehrgeiz regiert. Eine Teilnehmerin stürzt sich im wallenden Outfit einer Skigräfin in den Flaggenwald, um beim dritten Tor einen formidablen Abflug zu starten, den sie mit breitem Grinsen am nächsten Flachstück beendete. Ein Slowene, dessen wallender Bart dem Rock der Gräfin kaum  nachstand, begab sich mit kantenlosen Skiern und Einstocktechnik auf die Kunstschneepiste. Und scheitert  spektakulär.